Ich habe…, ich habe nicht…, ich habe…, ich habe nicht…,

Ein kurzer Hinweis, dass mein Blog am Sterben ist, reicht definitiv, um mich zum Schreiben zu zwingen.
Die interessante Frage: Wie hole ich so viel Zeit auf?
Ich bin heute seit genau 3 Monaten in meiner Gastfamilie. Das ist unglaublich. Jedes Mal aufs Neue muss ich mich fragen, wo die Zeit hin ist.
War es nicht erst gestern, dass mir am Flughafen in München die Tränen in die Augen schossen? Ist es nicht erst ein paar Stunden her, dass ich die Geschenke im Flugzeug geöffnet habe?

3 Monate. Viel Zeit. Viele Veränderungen. Kleine Dinge. Zeit für eine Bilanz.
Was ich habe:
– Ich habe tolle neue Freunde.
Eine Robin aus Italien. Mit der ich sehr gerne zu hause DVD’s schaue, mich viel streite, ständig wieder versöhne, shoppen und frühstücken gehe, über alles reden kann.
Eine Amanda aus Brasilien. Mit der ich vor allem auf Partys und unserer liebsten Shisha Bar anzutreffen bin. Eine Cassandra aus den USA. Mit der ich unglaublich viel Spaß habe, weil es sich anfühlt, als kennen wir uns seit 10 Jahren. Und mit der ich an unserer Theater-Szene arbeite.
Freunde aus der ganzen Welt. Und eine Menge Gelegenheiten, neue Freunde dazu zu gewinnen. Jeden Tag treffe ich wahnsinnig viele neue Menschen. Das lässt mich interessante neue Eindrücke gewinnen. Kaum ein Tag, an dem keine kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten diskutiert werden. Das hinterlässt eine Spur. Ich denke, das Wort ‚Weltbürger‘ ist hier angebracht. Ich fühle mich wie ein Weltbürger.
– Ich habe irre viele Hausaufgaben.
Viele von euch wissen es bereits. Ich bin an meinem College ein Credit-Student. Ich gehe Vollzeit zum College. Dieses Semester belege ich mehrere Psychologiekurse und Schauspiel. Es ist ein Studium, dass ich „nebenbei“ und in meiner „Freizeit“ absolviere. Einschließlich Hausarbeiten, Prüfungen, Tests und Projekten. Das erste Mal in meinem Leben bin ich ein Streber. Bloß kein „B“ bekommen. Schließlich mchte ich das Gefühl haben, etwas zu erreichen. Etwas auf die Reihe zu bekommen. Anstrengend. Jedoch sehr bereichernd.
– Ich habe Probleme.
Vor allem Zeitliche. Mein Tag ist von 7am bis 12pm durchgeplant. College, Kinder, Sozialleben und Schlaf ist ein magisches Viereck. Oft genug muss ich länger arbeiten oder etwas für die Familie erledigen. Kein Problem, aber KRACH, mein Zeitplan ist ruiniert. Meistens spare ich am Schlaf.
Daneben gibt es natürlich viele andere Dinge, die nicht so laufen, wie man sich das vorstellt. Aber das soll es dazu gewesen sein. Ob in Deutschland, den USA oder Timbuktu: Probleme gibt es immer.
– Ich habe die besten Kinder der Welt.
Ich liebe meine Kids. Viele Au Pairs sagen, sie müssen in Ruhe darüber nachdenken, ob sie wirklich eigene Kinder wollen. Meine Kids dagegen stimmen mich eigenen Kindern gegenüber geradezu euphorisch. Meine 2 Mädels sind die besten Kids, die ich mir hätte wünschen können.
– Ich habe mich verliebt.
New York City. Jedes Mal. Letzte Woche war ich 3 Mal in der City. Ich nehme meistens den Zug. Komme an der Penn Station an. Nehme die Rolltreppe. Wage den ersten Schritt aus der Station in die wunderbarste Stadt der Welt. Und denke ‚Oh. Mein. Gott. Ich. liebe. dich. für. immer. und. ewig.‘ Mehr brauche ich dazu nicht sagen.

Was ich nicht habe:
– Ich habe kein Heimweh.
Ich vermisse meine Freunde, meine Familie, meine Mitschüler und Mitsänger und Mittänzer und Mitschauspieler. Ich vermisse die Oper. Ich vermisse Schokolade. Gute Schokolade. Ich vermisse es, einfach mal spazieren zu gehen. (Warum das in den USA unmöglich ist, verdient einen eigenen Blog Eintrag.)
Und trotzdem wünsche ich mir keine Minute, zurück in Deutschland zu sein. Ich liebe Leipzig und alle Menschen, die dort zu meinem Leben gehören. Aber ich habe so viele Jahre an diesem einen Ort gewohnt. So viele Jahre dasselbe gesehen. Dasselbe Leipzig, dasselbe Berlin, dasselbe München. Und jetzt bin ich einfach weg. Es gibt so viel neues zu entdecken und erleben und erfahren. So viel auszuprobieren und rumzuprobieren. So viele Pläne zu schmieden. So viele Träume zu schmieden. So viel zu unternehmen, um Pläne und Träume zu verwirklichen. Und dann lassen sich alle Pläne und Träume wieder verwerfen, weil… Einfach so. Just because. Weil das Leben noch so viel mehr bereit hält, was er zu erkunden gibt. Woher soll ich wissen, was ich will, wenn ich nicht weiß, was alles geht? Wie soll ich wissen, was mir gefällt, wenn ich nicht alles ausprobieren kann?
Aus diesem Grund bin ich wahrscheinlich so im Stress. Ich will College Student sein. Und Au Pair natürlich. Und Künstler. Deswegen nehme ich mal ganz nebenbei Schauspielkurse in der City. Und Psychologe will ich auch noch werden. Deswegen blättere ich jeden Abend in meinen Schulbüchern.
– Ich habe keinen Plan.
Ob ich 1 Jahr oder 4 Jahre bleibe? Oder 2? Keine Ahnung. Alles ist offen. Ich kann mir vorstellen, nach dem Jahr zurück zu kommen. Ich kann mir vorstellen, meinen Associates Degree abszuschließen und 2 Jahre zu bleiben. Ich kann mir vorstellen, meinen Bachelor abzuschließen und 4 Jahre zu bleiben. Wer weiß.
Eines ist sicher: Ich werde nicht für immer hier bleiben. Ich bin hier zu erleben und Erfahrungen zu sammeln. Nicht, um hier fest zu wachsen.
– Ich habe nichts anzuziehen.
23kg für ein ganzes Jahr. Ich fasse es immer noch nicht! Den Sommer überlebt man ganz gut, mit dem, was man eingepackt hat. Jetzt wird es leider Winter. Ich habe weder Schuhe, eine dicke Jacke, einen Pullover oder einen langärmeligen Pyjama, noch Handschuhe, … Man könnte jetzt shoppen gehen. Wenn man nicht zum College ginge. (TEUER!) Und wenn man Spaß daran hätte, sein Gehalt für Dinge auszugeben, die man braucht. Statt für Dinge, die man will.
– Ich habe kein besseres Englisch als vor 3 Monaten.
Ich habe ein paar Worte gelernt. Wow. Ansonsten verdirbt man sich sein Englisch größtenteils. Schulenglisch ist toll. Grammatikalisch korrekt. „Echtes“ gesprochenes Englisch ist eine Katastrophe. „My friends be like..“ statt „My friends are like..“. Oder „He don’t..“ statt „He doesn’t“.
Die meisten meiner Freunde, die von Anfang an fließend Englisch sprachen, sehen das wie ich. Man lernt ein paar Worte. Aber nach ein paar Monaten ist man nicht völlig aus dem Häuschen, weil man ja so viel besser Englisch spricht.

Egal, was ich habe und nicht habe: Ich freue mich sehr auf die nächsten Wochen und Monate.
Thanksgiving rückt näher. Dieses werde ich leider nicht mit meiner Hostfamily verbringen können. Geplant ist nämlich ein Besuch der Familie in Virginia von Dienstag – Sonntag. Leider habe ich am Mittwoch im College einen wichtigen Test.Trotzdem freue ich mich sehr darauf. Ich habe zahlreiche Einladungen von den Familien Amerikanischer Freunde und konnte mich bisher noch nicht entscheiden, mit wem ich dieses Ereignis begehen will.
Ich halte euch auf dem Laufenden. Dieses Mal wirklich. (Das sage ich vor einer Diät übrigens auch immer. „Dieses Mal wirklich“) 😉

Bis bald,
Lots of Love,

Julietta

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