Verantwortung vs. Sorgen

Ich bin die erste die wegrennt, wenn es um brenzlige Situationen geht. Wirklich. Irgendetwas passiert und mein Fluchtinstinkt takes control. Schon beim Öffnen einer Sektflasche werde ich nervös. Ich schreie normalerweise lieber erst mal nach Hilfe. Und es gibt glücklicherweise immer viel mutigere Menschen in meiner Nähe, die mir bereitwillig den aktiven Kampf mit Situationen abnehmen und dankbar für passive Mithilfe sind, die ich ebenso dankbar leiste.

Nur geht das jetzt nicht mehr. Man erwartet von mir, mutig zu sein. Zumindest potenziell mutig. Ich erwarte dies selbst von mir auch. Ich möchte schließlich Flugbegleiterin werden und mich je nach Situation in Krankenschwester, Hebamme, Feuerwehrfrau, Polizistin oder Gefahrgutspezialistin verwandeln. Das war mir natürlich auch bewusst, als ich mit meinem Training begann. So richtig darüber nachgedacht, wie das aussehen soll, hatte ich sicherheitshalber nicht. Weder wollte ich mich vor meinem geistigen Auge mit einem Feuerlöscher sehen, noch mit einem Defibrillator. Mir so etwas vorher vorzustellen und zu überlegen, wie ich wohl damit umgehen würde, hätte mich zu nervös gemacht. Aber es ist ein Job, den ich unbedingt machen möchte, daher beruhigte ich mich: man wächst mit seinen Aufgaben. Und ich hoffte auf das Beste.

Es stellt sich heraus: genau so ist es. Es ist egal, ob man bis kurz vorher an sich zweifelt oder sich abenteuerlustig in den Kampf stürzt. Es ist auch egal, ob man sich immer freiwillig zu Übungen meldet oder bei jeder Übung betet, nicht selbst daran teilnehmen zu müssen. Oder ob man sich gerne unter enge Masken zwängt, um keinen Rauch einzuatmen oder sich lieber den Erstickungstod vorstellt, als eine solche Maske anzulegen. Aber dann steht man eben dem Feuer gegenüber. Und dann geht es los. Kurz checken, was zu tun ist. Sich ausrüsten. Und wenn es eben doch der Masken bedarf, die man sich 3 Sekunden vorher überall, aber nicht auf seinem Kopf vorstellen konnte. Und dann schnappt man sich diesen Feuerlöscher. Und dann ist man eben bereit und … legt einfach los. Völlig angstfrei. Denn was will man tun, wenn es in der eigenen Verantwortung liegt, die Sache in den Griff zu bekommen. Und wenn es keine Option ist, laut zu schreien und jemand anderen die Sache erledigen zu lassen. Dann lautet die einzige Lösung, es einfach selbst zu tun. Und zwar so richtig. Beherzt und kontrolliert. Ohne Angst und Zweifel und Oh-Gott-wenn-ich-was-falsch-mache und Ich-kriege-das-doch-nie-hin.

Denn ich bin eigentlich die Nummer Eins auf meiner eigenen Liste der größten Angsthasen, die ich kenne. Nur scheint es ganz so einfach doch nicht zu sein. Denn manchmal geht es gar nicht um Eigenschaften und Charakterzüge, sondern einfach darum, sich wirklich in der Position zu befinden, in der man Verantwortung ergreifen muss. Mit einer solchen Situation kommt das Bewusstsein, wie wichtig es ist, ebendiese Verantwortung auch bereitwillig zu übernehmen und auszufüllen. Dann gibt es nicht mehr viel rundherum, das einen bei der Erfüllung seiner Aufgaben gedanklich behindern könnte. Man stellt, vielleicht ein wenig überrascht fest, dass es gar nicht unbedingt darum geht, sich Ängsten zu stellen, sondern einfach auch Situationen. Und in solchen Situationen gibt es diese Ängste oder Sorgen, die man vermeintlich hatte, gar nicht mehr.

Das ist eine der wertvollsten Erfahrungen, die ich (nicht nur im Hinblick auf Feuer) bisher im Training machen durfte. Man lernt sich selbst unendlich viel besser kennen, wenn man sich für eine Position wie die eines Flugbegleiters ausrüsten möchte. Denn man ist letztlich der, dem die Verantwortung der Kabine erst mal obliegt. Und der, auf den im Zweifel alle schauen werden. Man ist nicht Auge und Ohr des Cockpits, sondern auch derjenige, der die Kabine unter Kontrolle halten muss. Denn genau so wie wir uns für einen sicheren Flug auf die Cockpit Crew verlassen, verlässt sich das Cockpit auf uns. Jedem von uns obliegt eine gewisse Verantwortung. Daraus resultiert, dass man für seinen Verantwortungsbereich selbst seine einzige Option ist. Und das kann unglaublich viel aus einem hervorzaubern, einen selbst überraschen und stolz machen. Weil man sich eben nicht „besiegen“ muss, um mutig zu sein. Weil es nicht darum geht, „Angst“ zu bekämpfen. Weil man feststellt, dass alles schon in einem angelegt ist und es nur eine günstige Gelegenheit geben muss, hervorzukommen. Denn schwer ist das alles überhaupt nicht. Es ist nur eine Frage, der aktiven Übernahme von Verantwortung.

„Verantwortlichkeit“ ist ein Wort, dass man auch in einschlägigen EU Verordnungen zu Kabinenbesatzung häufig liest. Für mich ist es eines der Schlagworte, die das Training bisher am besten beschreiben. Vielleicht ist das Training daher nicht so spaßig, wie ich es mir vorgestellt hatte. Dafür gibt es einem unendlich viel für die eigene Persönlichkeit mit und für mich persönlich kann ich sagen, dass es jeden Tag so spannend ist, dass nicht einmal die zukünftigen Flüge in die Welt im Zentrum meiner Aufmerksamkeit stehen. Sondern jeder einzelne Tag mit seinen Herausforderungen. Es ist eine spannende, aufregende, lehrreiche Zeit. Und es ist ein großes Geschenk, so viel bei einer Ausbildung mitzunehmen.

In diesem Sinne,

Love,

Julietta.