Die Entdeckung Europäischer Identität

Ich würde nach wie vor nicht sagen, dass ich Deutschland sehr vermisse. Abgesehen von der deutschen Küche. Man kann sagen, was man will, Amerikaner ernähren sich unglaublich einseitig. Selbst in meiner Gastfamilie, in der darauf geachtet wird, nicht zu viel Burger und Co. zu sich zu nehmen. Trotzdem gibt es jeden Tag mehr oder weniger dasselbe. Steak oder Pute, Reis und TK-Gemüse-Mix. Außer Freitags. Da gibt es Pizza. Und Sonntags gibt es statt Steak oder Pute, Steak UND Pute.
Früher war ich der Meinung, dass sich meine Eltern sinnlos Stress machen. Von wegen ‚Schnitzel hatten wir erst vor 2 Wochen‘. Jetzt bin ich der Meinung, dass es nichts schöneres gibt als abwechslungsreiche Ernährung.

Süßigkeiten sind ein ganz besonderes Thema. Ich betrachte Süßigkeiten weltweit als gesund, seit ich in den Genuss von Amerikanischen Zusatzstoffen gekommen bin. High Fructose Corn Syrup. Wenn man das bei Google eingibt, kommt als eines der ersten Ergebnisse ‚5 Gründe, warum High Fructose Corn Syrup dich umbringen wird‘. Leider ist dieses ’super‘ Zeug Inhaltsstoff von so ziemlich allem. Hot Dog Buns, Joghurt oder Ketchup beispielsweise. Es ist absolut nicht leicht zu umgehen. Meine Hostmum kauft zu 90% organische Lebensmittel und trotzdem lese ich auf jedem 3. Etikett in unserer Speisekammer High Fructose Corn Syrup. Ganz nebenbei, in manch anderem Land ist Corn Syrup illegal. In den USA essen wir es ununterbrochen. Ein Beispiel? Oreos. Während bei Oreos fast weltweit Zucker zum Einsatz kommt, bekommen wir es hier mit der Extraportion Corn Syrup zu tun. Danke auch.

Deshalb verbanne ich ab nächster Woche sämtliche HFCS-Produkte von meinem Speiseplan. Angefangen habe ich bereits mit dem Verzicht von HFCS-Süßigkeiten. Das halte ich allerdings nur mit dem Wissen durch, dass meine Europäische-Süßigkeiten-Lieferung von meinen Eltern auf dem Weg zu mir ist.

Europäisch. Ich schrieb am Anfang dieses Eintrages, dass ich Deutschland nicht sehr vermisse. Doch ich vermisse Europa. Abgesehen davon, dass die EU uns Tonnen von Hormonen und HFCS im Essen erspart.
Ich denke an die Architektur Roms. Die Franzöische Sprache. Harry Potter. Spanische Musik. Das Oktoberfest. Reisemöglichkeiten. Die Natur in Skandinavien. Berlin, Paris, London, Stockholm. Sprachen. Monarchien. Feiertage. Bildungssysteme. Kunst.
All das gehört zu einem bestimmten Land und ich gleichzeitig Teil von etwas noch Größerem. Europa ist ein wunderbar multikultureller Kontinent. Ein Kontinent, auf dem man nicht nur Englisch und ein bisschen Spanisch braucht. In Europa spricht man am besten mindestens 4 Sprachen: Französisch, Englisch, Deutsch, Spanisch. Weitere Optionen wären Italienisch, Tschechisch, Russisch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Finnisch, Finnisches Schwedisch, Schweizerdeutsch, Albanisch, Kroatisch, Türkisch …

Und irgendwie, auch wenn es mir nie bewusst war, fühle ich mich nun, da ich in Amerika bin, in Europa beheimatet.
Glücklicherweise lebe ich allerdings nur ein kleines Stück von Europa entfernt. Genau genommen von der ganzen Welt. Denn wann immer die Amerikanische Kultur zu farblos wird, zieht es mich vor die Tür New Jerseys: New York City. Hier lässt sich einfach nichts vermissen. Denn alles ist da. Berlin, Paris, London und Stockholm in einer einzigen große, lauten, verrückten Stadt. Einer Stadt, in der man vielleicht sogar importierte Oreos ohne HFCS findet.

Juliettaaaa

Dream Bigger, small town girl

Max Reinhardt Seminar fuer Schauspiel? Ludwig Maximilian Universitaet fuer Psychologie? Come on, das kann doch nicht mein ernst sein.
Ich liebe Leipzig. Ich mag Deutschland und ich lebe sehr gerne in Europa. Allerdings gefallen mir einige Dinge in den USA besser als zu Hause. Nicht, dass ich nicht zufrieden gewesen waere. Ich hatte nur schon lange vor meiner Abreise das Gefuehl, dass Leipzig mir zu „klein“ geworden ist. Weshalb ich viele Ausfluege nach Berlin unternahm. Gerne auch nur einfach so. Fuer ein Fruehstueck. Oder ein Theaterstueck. In Berlin hatte ich eher das Gefuehl von Groesse, von Urbanitaet, von der Welt.
Ich hatte Wuensche fuer meine Zukunft. Viel diskutiert mit Freunden und Verwandten, entwickelte ich einen Plan fuer „nach den USA“. Dass dieser Plan noch sehr viele Ecken und Kanten hatte, sei jetzt mal ausser Acht gelassen. Ich wollte mich an Schauspielschulen bewerben. Parallel zu einem Psychologie Studium. Das Ziel: angenommen werden. Egal wo. Koennte ich es mir aussuchen: Max Reinhardt Seminar fuer Schauspiel, Ludwig Maximilian Universitaet fuer Psychologie.

Mit etwas Abstand betrachtet, sieht das schon ganz anders aus. Nach 4 Wochen in New Jersey habe ich ein Gefuehl von „Groesse“ bekommen. Ich lebe nah bei New York, der aufregendsten Stadt der Welt. Ich habe Freunde aus allen Erdteilen gefunden. Ich gehe zum College, nehme (na klar) Kurse in Schauspiel und Psychologie. Ich lebe in einer unfassbar reichen Gegend. Ganz nebenbei, ich fahre einen tollen Mercedes.
Und ich arbeite mit Kindern.
Vor Abflug haette ich das so beschrieben: „Ich arbeite mit Kindern, weil mir das ein Auslandsjahr in den USA ermoeglicht. Ich kann dort leben, sammle neue Erfahrungen und lerne das Land kennen. Von meinem Gehalt kann ich shoppen und reisen. Ich mache ein Jahr lang Pause.“
Mittlerweile beschreibe ich das so: „Ich arbeite mit Kindern, weil ich mir damit mein Leben hier finanziere. Einen Grossteil meines Gehalts verwende ich fuer das College, oder um mich anderweitig zu bilden. Ich bereite mich intensiv auf meine Zukunft vor. Ich nutze die Zeit, um Weichen zu stellen fuer das, was nach dem Job als Nanny auf mich wartet.“

Ihr lest es immer wieder: College. Hier verbringe ich fast jeden Tag von 9 – 15 Uhr. Das ist meine Freizeit. Ich habe 2 Mal pro Woche Kurse. (Ich ziehe in Erwaegung, das auszuweiten. Aber Oh, das Geld!) Ich bin Mitglied in 2 Clubs, die sich woechentlich treffen. Den Rest der Zeit lerne ich fuer die Kurse und bereite mich auf den SAT Test vor. Den was? Den SAT Test. Komplexes Thema. Kurz und knapp: Willste dich an einer Uni bewerben, brauchste den SAT Test. Schwierige Sache, wenn die Muttersprache nicht Englisch ist und man den Test in Amerika ablegen will. Anyway, ich will den Test machen. Darueber habe ich auch mit meinen Gasteltern gesprochen. Wir kamen zu dem Thema Zukunft. Ein oft leidiges Thema fuer alle Abiturienten.

Die Zukunft. Kein Problem, dazu kann ich etwas sagen. Denn ich habe meinen Zukunfts-Plan 1.0 in der Hinterhand. Entstanden zwischen Februar und Juli 2014 in Deutschland.
Ich weihte meine Gasteltern also ein. Max Reinhardt Seminar. Ludwig Maximilian Universitaet. Super Bildung, schlechte Chancen. Doch meine Sorge, nicht angenommen zu werden, teilten sie nicht mit mir.
„Are you kidding me?“
Kidding.. Ich ueber meine Zukunft. No way. Wieso sollte ich mir da einen Spass erlauben?
„I’ve never heard of those Schools.“
Ja natuerlich nicht, die liegen in Europa.
„Yeah, but we know the good Universities in the world, you know. Cambridge.. that’s something for you.“
Also bitte. Ich habe Aussichten gegen 0, an der LMU angenommen zu werden. Wir brauchen jetzt nicht wegen Cambridge diskutieren.
„Cambridge, Harvard.. and for acting you should apply at Juilliard! Not at one of the unimportant schools.“
Harvard und Juilliard! Das wird ja immer schoener!
„How can you be the best without striving for excellence?“

Die Essenz der Debatte: Dream Big.
That’s America. Die beste Schule Sachsens oder New Jerseys kann nicht deine Traumschule sein. Das sind gute Alternativen. Probieren sollte man es allerdings im ganz grossen Stil.
Auf Deutsch: Die Menschen um mich herum koennen nicht verstehen, wie ich in meinem Jahr „Pause“ jeden Tag in die Bibliothek renne. Wie ich Tonnen von Buechern zu Hause habe. Wie ich fuer den SAT lerne, obwohl ich diesen fruehestens im Dezember ablegen werde. Und das alles mehr oder weniger ohne Ziel.
Das erschien mir logisch. Daher habe ich mir neue Ziele gesetzt. Vorlaeufig nicht Harvard und Juilliard. Dafuer einen bestimmten, sehr hohen, SAT Score. Wenn ich den habe, koennen wir weitersehen.
Ganz ohne Zeitdruck. Ich habe hier einen sicheren „Job“. Nicht hochbezahlt. Aber genug, um zu tun, was ich tun moechte. Aus dem einen Jahr koennen ohne viel Aufwand zwei Jahre werden. Wenn es bei einem Jahr bleibt, warum sollte ich dann nicht einfach nach Berlin ziehen? Oder London?

Nicht mein Hostdad hat mir den Blick fuer das Grosse gegeben. Es ist das ganze Land. „Gross, Groesser, am Groessten“, heisst es ueberall. Und wir Europaeer koennen nur die Augen rollen.
Doch hier geht es nicht nur um den groessten Cheeseburger oder um die groesste Mall. Es geht auch um das Groesste in jedem einzelnen Menschen. Um das Verlangen, mehr aus sich zu machen, als man fuer moeglich gehalten hat.
Das Land der unbegrenzten Moeglichkeiten. Fuer mich ist es das definitiv.
Nicht im Sinne „Vom Tellerwaescher zum Millionaer“. Aber im Sinne „Juilliard. Eigentlich eine ganz coole Idee“.
Wie wahrscheinlich ein Ereignis ist, zaehlt hier nicht. Die meisten von uns sind keine Mathematiker, die ihre Stochastik-Buecher zur Hand nehmen.
Was zaehlt, ist Groesse. Und die Energie, die wir darauf verwenden, das Groesste aus uns herauszuholen.

Much Love,
Julietta.

Ps: Sorry fuer fehlende Umlaute und ss – bin gerade im College am Computer 😉

Der Tag, an dem 7 Männer in Uniform im Haus standen.

Ich hatte heute den ersten Heimweh-Moment seit ich hier bin. Es war nur ein kurzer Moment. Ausgelöst wurde er durch ein Erlebnis, das ich wahrscheinlich nie mehr vergessen werde. Mir wurde versichert, dass das anderen Au Pairs auch schon passiert ist. Ich muss es trotzdem nicht noch mal haben.

Seit Mittwoch gehen meine Mädels wieder zur Schule, sodass ich tagsüber überwiegend frei habe. Von dem Moment, an dem der Schulbus die Kids abholt bis nachmittags, wenn er sie wieder nach Hause bringt. Dann gibt es zunächst einen Snack. Ich wollte es mir heute ganz besonders einfach machen: Beef Patties. Einfach 10 Minuten in den Ofen. Fertig. – War der Plan.

Unglücklicherweise haben wir sämtliche Folien in einem Schubfach. Alufolie, Frischhaltefolie, Backpapier, Wachspapier. Die beiden letzten sind weiß und sehen identisch aus. Es kam, wie es kommen musste: Ich verwechselte Backpapier mit Wachspapier und legte fröhlich das Wachspapier in den Ofen. Für vielleicht 30 Sekunden. 30 blöde Sekunden ! Ich bemerkte Rauchentwicklung im Ofen und wollte das Papier sofort wieder rausnehmen. Ganz dumme Idee.

Make a long story short. Das Wachspapier kam aus dem Ofen, der Rauch auch und der Feueralarm ging los. Was macht man als erstes, wenn man Rauch aus dem Haus kriegen will? Fenster auf. Die Kids und ich rannten zu den Türen und Fenstern und öffneten sie. Das war der zweite Fehler. Denn die Alarmanlage war eingeschaltet. Warum auch immer.

2 Minuten später hatte ich die Frau der Sicherheitsfirma am Telefon. Ich sagte ihr das Passwort, sie bedankte sich. Meiner Meinung nach war damit alles erledigt. Denn mit der Sicherheitsfirma konnte ich schon letzte Woche Erfahrung sammeln. Da gab ich aus Versehen 3x den falschen Code in die Alarmanlage ein. Nicht so schön. Aber das konnte ich innerhalb von 5 Minuten regeln. Keine Konsequenzen, keine Polizei, kein Alarm mehr.

So hatte ich mir das heute auch vorgestellt. Denn der Alarm war inzwischen wieder aus. Ich war am Ofen, um dieses Mal das richtige Backpapier zu verwenden, als meine Kids mich riefen. Denn es stand ein Polizist in unserem Haus. Wörtlich. Er hat nicht an der Tür gewartet, sondern stand einfach mitten im Haus. Ich erklärte ihm, was passiert war. Seine Antwort: „Gut, dass das Fire Department gleich in der Nähe ist. Dann müssen die Feuerwehrleute nicht so einen langen Weg umsonst fahren“ – „FEUERWEHRLEUTE?!“ – „Die Polizei kann die Feuerwehr leider nicht abbestellen. Da musst du durch.“

Also plauderte ich ein bisschen mit dem Polizist und den Kids. Wohl wissend, dass gleich die Feuerwehr hereinspazieren würde. Das ist nichts für schwache Nerven. Glaubt mir.
Ich hatte gehofft, dass wenigstens nur 2-3 Feuerwehrleute kommen würden. Tatsächlich kamen ganze 6 Feuerwehrleute durch die Tür gerannt. Da stand ich also. Mit 7 Männern und 2 Kindern. Meine Güte. Never again.
Alle haben es überlebt. Polizei und Feuerwehr nahmen es sportlich und meine Gasteltern mit Humor. Die Kids fanden es Klasse, so viel Action im eigenen Zuhause zu erleben. Nur ich war völlig am Ende.

Und die Moral von der Geschicht‘: Verwechsle das Papier im Ofen nicht!

In diesem Sinne Gute Nacht und die allerbesten Grüße aus dem wundervoll sicheren New Jersey. Hier kann man sich noch auf die Einsatzkräfte verlassen! 😉